Ein Louvre am Rhein? Was Köln wirklich braucht

Im Kölner Presseclub warb Andreas Blühm jüngst für einen „Louvre am Rhein“ – eine kulturelle Schatzkammer, die das Profil der Stadt schärfen und verstreute Kräfte bündeln soll. Konzentration statt Verzettelung, Strahlkraft statt Mittelmaß: In der Sache ist das ein nachvollziehbarer kulturpolitischer Impuls – und es ist zu begrüßen, wenn engagierte Akteure, noch dazu so verdienstvolle wie Andreas Blühm, Ideen in den Ring werfen. Köln braucht neue Impulse – und gelegentlich auch eine Prise Träumerei. Ich aber hätte einen anderen Vorschlag. Wenn wir schon etwas aus Paris importieren sollten, dann nicht den Louvre, sondern eine Politikerin vom Format einer Anne Hidalgo, der derzeitigen Bürgermeisterin der Seinemetropole.

Seit ihrem Amtsantritt 2014 hat Anne Hidalgo vorgemacht, was kommunale Führung leisten kann – mit klarem Kompass, Kompetenz, Konsequenz und, nicht minder entscheidend, Konfliktbereitschaft. Unter ihrer Ägide hat Paris eine der bemerkenswertesten städtischen Transformationen Europas der vergangenen Jahrzehnte durchlaufen. Die weltweit Beachtung findende Verkehrswende der Stadt ist dabei nur der sichtbarste Ausdruck eben jener Transformation: über 1.000 Kilometer neue Radwege entstanden in nur einem Jahrzehnt, während zugleich das 30-km/h-Tempolimit auf massiv ausgeweitet und Zehntausende Parkplätze zugunsten von mehr Raum für Fußgänger- und Radverkehr sowie für Grün- und Aufenthaltsbereiche umgewidmet wurden. Berühmte Verkehrsachsen wie die Rue de Rivoli verwandelten sich von autobeherrschten Boulevards zu fahrradfreundlichen Zonen und das Konzept der „15-Minuten-Stadt“, das darauf abzielt, sämtliche wichtigen städtischen Funktionen so miteinander zu verknüpfen, dass sie innerhalb von 15 Minuten fußläufig oder per Rad erreichbar sind, wird Schritt für Schritt zur praktischen Realität.

Doch Hidalgos Wirken reicht weit über die Mobilitätspolitik hinaus: soziale Wohnungsbauoffensiven, ein deutlicher Ausbau der kommunalen Kitainfrastruktur, neue Räume für Teilhabe und Kultur, ein ambitionierter Klimaplan, umfassende Begrünungsinitiativen – und zuletzt die erfolgreiche Ausrichtung der Olympischen Spiele 2024. All das geht nicht allein auf Anne Hidalgo zurück, aber dass sich Paris in den vergangenen Jahren von einer etwas angestaubten Kulturmetropole in eine quicklebendige Zukunftswerkstatt verwandelt hat, ein Modell urbaner Transformation, das weltweit Aufmerksamkeit findet, ist in der Einschätzung vieler nicht unwesentlich auf ihre politische Führungskraft zurückzuführen.

Exemplarisch für den ökologischen Umbau von Paris: der Vorplatz des Hôtel de Ville, nach nur achtmonatiger Bauzeit in einenstädtischen Wald” umgestaltet (© Guillaume Bontemps / Ville de Paris)

Everybody’s Darling ist Hidalgo keineswegs – ihre Politik stößt auch auf deutlichen Widerstand. Die Tochter spanischer Einwanderer zählt zu den umstrittensten Persönlichkeiten des französischen Politikbetriebs, polarisiert stark in Paris und im ganzen Land, und hat bereits angekündigt, bei den Kommunalwahlen im März 2026 nicht erneut zu kandidieren. Doch gerade international erfährt ihr Wirken viel Anerkennung: Die Aufnahme in die „100 Most Influential People“ des Time Magazine(2020), der Urban Land Institute „Preis für Visionäre“ (2023) – eine der höchsten internationalen Ehrungen im Stadtentwicklungsbereich – sowie die Auszeichnung durch die Financial Times als eine der 25 einflussreichsten Frauen des Jahres 2024 sprechen für sich.

Natürlich wäre es zu kurz gegriffen, die Frage, wie Städte sich entwickeln – oder stagnieren –, allein an ihrem politischen Personal festzumachen. Aber dennoch sind viele der eindrucksvollsten urbanen Erfolgsgeschichten der letzten Jahre und Jahrzehnte untrennbar mit politischen Führungspersönlichkeiten verbunden – mit Bürgermeister:innen, die gestalten, ermöglichen und durchsetzen. Ken Livingstone in London, Michael Bloomberg in New York und Ada Colau in Barcelona sind prominente internationale Beispiele. Doch man muss nicht in die Ferne schweifen, um zu sehen, was engagierte und kluge kommunale Führung bewirken kann. Auch hierzulande gibt es Beispiele: Wuppertal etwa, keine Glamour-Metropole, aber eine Stadt, die sich in den vergangenen Jahren bundesweit und darüber hinaus als Vorreiterin innovativer, kooperativer und nachhaltiger Stadterneuerung profiliert hat.

Kommunalpolitik ist, wie in Paris, auch in Wuppertal kein „Lovefest“. Wie Anne Hidalgo hat auch Uwe Schneidewind, der ehemalige Präsident des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt, Energie und derzeitige Oberbürgermeister, angekündigt, nicht für eine weitere Amtszeit zu kandidieren. Und doch wird Stadt hier Schritt für Schritt neu gedacht, gestaltet und erfahrbar. Das zeigt sich etwa in der Utopiastadt am Mirker Bahnhof – einem bundesweit beachteten Reallabor kooperativer Stadtentwicklung, das die von Schneidewind mitgeprägte Idee der „Selbstmachstadt“ greifbar werden lässt –, in den Planungen zur mit Spannung erwarteten Bundesgartenschau 2031 oder auch auf dem BOB Campus: einem gemeinsamen Projekt von Stadt und Montag Stiftung, das aus einer Industriebrache einen vielfältigen Ort für Lernen, Wohnen und Arbeiten geschaffen hat und vor wenigen Wochen mit dem Deutschen Städtebaupreis ausgezeichnet wurde. „Partizipativ geplant, gemeinwohlorientiert gedacht und architektonisch sensibel umgesetzt“ – so lobte die Jury den BOB Campus. Eine Kombination, von der man sich auch in Köln durchaus mehr wünschen würde.

Wider die Mär von der Unveränderbarkeit

Manche unken, Köln sei angesichts der Dauerkrise, die die Stadt seit Jahren fest im Griff zu haben scheint, längst nicht mehr zu retten – der Zug sei abgefahren, Hopfen und Malz verloren. Doch dieses Narrativ der Unveränderbarkeit ist bequem – und falsch. Das beweisen nicht nur Wuppertal mit seinen Herausforderungen als Stadt im postindustriellen Wandel, sondern auch internationale Beispiele: Medellín etwa, einst Synonym für Gewalt und institutionellen Zerfall, hat sich binnen zwei Jahrzehnten zum Vorbild integrativer und innovativer Stadtentwicklung gewandelt. Curitiba in Brasilien entwickelte unter dem visionären Architekten-Bürgermeister Jaime Lerner revolutionäre Verkehrs- und Umweltkonzepte, die weltweit Nachahmer fanden. Und in Portugal gelang es Ricardo Rio, die vormals eher verschlafen daherkommende Erzbischofsstadt Braga innerhalb eines Jahrzehnts durch eine Vielzahl von Maßnahmen in den Bereichen Mobilität, Digitalisierung und Kultur zu einem international anerkannten Modell nachhaltiger Stadtentwicklung zu machen – eine Leistung, die ihm unter anderem den Titel „World Mayor for Sustainability“ 2022 einbrachte.

Freilich sind auch diese Beispiele nicht frei von Schattenseiten und Widersprüchen. Dennoch zeigen sie – gemeinsam mit vielen anderen –: Kluge, zukunftsgewandte Politik, die tatsächlich etwas bewegt, ist möglich. Sie ist nicht unbedingt an bestimmte politische Richtungen, geschweige denn an parteipolitische Zugehörigkeiten gebunden, sondern entsteht vor allem dort, wo Menschen durch entschlossenes – und mitunter auch unpopuläres – Handeln Verantwortung übernehmen und Mut zu Visionen mit Management- und Umsetzungskompetenz verbinden.

Was Kölns Fall so besonders frustrierend macht: Die Stadt verfügt über außergewöhnliches Potenzial. Als wirtschaftliches Schwergewicht im Herzen Europas, als Medienzentrum mit pulsierender Kulturszene, als Universitätsstandort mit engagierter Bürgerschaft – Köln hat das Zeug zur europäischen Metropole, die Standards setzt. Doch stattdessen gelingt es ihr mit bemerkenswerter Zuverlässigkeit, unter ihren Möglichkeiten zu bleiben und vor allem mit Pleiten, Pech und Pannen von sich reden zu machen (zu ihnen habe ich mich bereits an anderer Stelle geäußert, etwa hier, und seither sind viele weitere hinzugekommen).

Köln im Miniaturformat auf der Domplatte: Der Platz ist derzeit wegen eines maroden Stützpfeilers der darunter liegenden Tiefgarage von Absperrungen durchzogen.

© Johannes Novy

Sicher: An all dem sind weder Politik noch Verwaltung allein Schuld. Und doch tragen Politik und Verwaltung eine besondere Verantwortung. Wer sich in diesen Bereichen in herausgehobener Position engagiert, muss sich auch an dem messen lassen, was in seiner Amtszeit gelingt – oder eben nicht. Verantwortung zu übernehmen, heißt auch, Verantwortung zu tragen. Das gilt umso mehr für die Person an der Spitze der Stadt und was Henriette Reker betrifft – die bald scheidende Oberbürgermeisterin –, so fällt die Bilanz ernüchternd aus.

„Stets bemüht“ ist nicht genug

An guten Absichten hat es sicher nicht gemangelt und wohlwollend könnte man in der Tonlage deutscher Arbeitszeugnisse zu sagen: Sie war stets bemüht. Nur: das genügt nicht, schon gar nicht angesichts der Erwartungen, die sie vor ihrem Amtsantritt selbst geschürt hat. Laut einer aktuellen Forsa-Umfrage im Auftrag des Kölner Stadt-Anzeigers sind mehr als zwei Drittel der Kölner:innen mit Rekers Arbeit unzufrieden. 64 Prozent sagen, Köln habe sich in den letzten Jahren zu seinem Nachteil verändert, und jeder Siebte gibt an, an Köln „leider nicht mehr viel“ oder „nichts“ zu schätzen. Fairerweise muss man sagen: auch Rekers Vorgänger sind nicht gerade als Lichtgestalten in die Annalen der Stadtgeschichte eingegangen – die Serie der Enttäuschungen ist länger als ihre zehnjährige Amtszeit. Aber interessanter als der Blick zurück ist der Blick nach vorn – konkret auf die Oberbürgermeister-Wahl im September.

Hat jemand im Kreis der Kandidat:innen das Zeug, die politische Misere zu beenden, die in Köln mit immer neuen Zumutungen Alltag geworden ist? Bringt jemand den Willen, die Ideen und die Führungsstärke mit, die Köln so dringend braucht? Was der bisherige Wahlkampf erkennen lässt, macht leider eher skeptisch als zuversichtlich. Die üblichen Floskeln, die gewohnten folkloristischen Plattitüden („…für die Stadt mit Herz“, „Machen mit Herz“, you name it) – zumindest bei den aussichtsreicheren (!) Kandidat:innen erscheinen sowohl Inhalt als auch Form ihrer Kampagnen überwiegend bieder und behäbig, sodass man sich des Eindrucks nicht erwehren kann: sollte sich unter ihnen jemand verbergen, der das Zeug zum Game Changer hat, hat er oder sie sich bislang nicht zu erkennen gegeben.1

Natürlich darf man die Rolle einzelner Personen in der Politik nicht überschätzen: Städte sind komplexe Gefüge, zusammengesetzt aus vielfältigen Akteuren und geprägt von einem Geflecht unterschiedlicher Interessen, institutionellen Routinen sowie mal mehr, mal weniger ausgeprägten Trägheiten und Widerständen. Doch gerade dort, wo vieles festgefahren scheint, können persönliche Führungsqualitäten den entscheidenden Unterschied machen. Anders ausgedrückt: Wer auf einen Messias hofft, der Köln im Alleingang in eine neue Ära der Glückseligkeit führt, verkennt, dass Stadtentwicklung und -politik Teamarbeit sind. Aber es hilft ungemein, wenn jemand an der Spitze steht, der Blockaden auflöst, neue Perspektiven eröffnet, Visionen entwickelt, und Prioritäten setzt – und diese auch gegen Widerstände durchzusetzen vermag.

Was mich zurück zum Ausgangspunkt bringt: Eine Persönlichkeit vom Kaliber Hidalgos – oder auch Zohran Mamdanis, der im Juni mit einem mutigen, inspirierenden Wahlkampf die Spitzenkandidatur der Demokraten für die im November stattfindenden Oberbürgermeisterwahlen in New York errang und Zehntausende Menschen neu für Politik begeisterte – würde auch Köln guttun! Um den Teufelskreis aus Stillstand, wiederkehrendem Scheitern und lähmender Resignation zu durchbrechen, in dem sich Köln in den vergangenen Jahren verfangen hat; um eine neue Kultur des Möglichmachens zu etablieren – und, ja: um, wenn dringendere Baustellen, im wörtlichen wie im übertragenen Sinne, abgeräumt sind, vielleicht irgendwann auch Andreas Blühms Vision eines „Louvre am Rhein“ Realität werden zu lassen.

Erst vor wenigen Tagen lud Zohran Mamdani zu einer “Scavenger Hunt” – tausende New Yorker kamen. Kreative Formate, Engagement und klare Ansagen zeigen, wie Politik Begeisterung wecken kann.

Politik als Bring- und Holschuld

Die gute Nachricht: Noch ist der Wahlkampf nicht vorbei – mit dem Ende der Sommerferien beginnt nun erst die heiße Phase! Das heißt: Die OB-Kandidat:innen der größeren Parteien haben nach wie vor die Chance, Skeptiker von der Seitenlinie – den Autor dieser Zeilen eingeschlossen – eines Besseren zu belehren und wer weiß, vielleicht mischt auch noch jemand aus dem Feld der „ferner liefen“ das Rennen auf und sorgt für Überraschungen. Zu wünschen wäre es allemal, und auch jeder Kölnerin und jedem Kölner bleibt noch etwas Zeit, dabei mitzuhelfen, das es so kommt. Politik lebt, wie der Allgemeinplatz sagt, vom Mitmachen – Bring- und Holschuld gehen hier also Hand in Hand – und wer Wandel will, muss ihn einfordern und, wo möglich, selbst mit anpacken.

1 Dieser Eindruck bezieht sich ausdrücklich nicht auf unabhängige Kandidat:innen und die kleinerer Parteien, doch ihnen fehlt, so mein Eindruck, bislang am nötigen Momentum, um wirklich durchzudringen. Was gewesen wäre, wenn zumindest einige von ihnen ihre Kräfte gebündelt hätten? Who knows – heute ist das nichts weiter als politisch vergossene Milch.

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