Ein Louvre am Rhein? Was Köln wirklich braucht
Im Kölner Presseclub warb Andreas Blühm jüngst für einen „Louvre am Rhein“ – eine kulturelle Schatzkammer, die das Profil der Stadt schärfen und verstreute Kräfte bündeln soll. Ich hätte einen anderen Vorschlag. Wenn wir schon etwas aus Paris importieren sollten, dann nicht den Louvre, sondern eine Politikerin vom Format einer Anne Hidalgo, der derzeitigen Bürgermeisterin der Seinemetropole.
Im Kölner Presseclub warb Andreas Blühm jüngst für einen „Louvre am Rhein“ – eine kulturelle Schatzkammer, die das Profil der Stadt schärfen und verstreute Kräfte bündeln soll. Konzentration statt Verzettelung, Strahlkraft statt Mittelmaß: In der Sache ist das ein nachvollziehbarer kulturpolitischer Impuls – und es ist zu begrüßen, wenn engagierte Akteure, noch dazu so verdienstvolle wie Andreas Blühm, Ideen in den Ring werfen. Köln braucht neue Impulse – und gelegentlich auch eine Prise Träumerei. Ich aber hätte einen anderen Vorschlag. Wenn wir schon etwas aus Paris importieren sollten, dann nicht den Louvre, sondern eine Politikerin vom Format einer Anne Hidalgo, der derzeitigen Bürgermeisterin der Seinemetropole.
Seit ihrem Amtsantritt 2014 hat Anne Hidalgo vorgemacht, was kommunale Führung leisten kann – mit klarem Kompass, Kompetenz, Konsequenz und, nicht minder entscheidend, Konfliktbereitschaft. Unter ihrer Ägide hat Paris eine der bemerkenswertesten städtischen Transformationen Europas der vergangenen Jahrzehnte durchlaufen. Die weltweit Beachtung findende Verkehrswende der Stadt ist dabei nur der sichtbarste Ausdruck eben jener Transformation: über 1.000 Kilometer neue Radwege entstanden in nur einem Jahrzehnt, während zugleich das 30-km/h-Tempolimit auf massiv ausgeweitet und Zehntausende Parkplätze zugunsten von mehr Raum für Fußgänger- und Radverkehr sowie für Grün- und Aufenthaltsbereiche umgewidmet wurden. Berühmte Verkehrsachsen wie die Rue de Rivoli verwandelten sich von autobeherrschten Boulevards zu fahrradfreundlichen Zonen und das Konzept der „15-Minuten-Stadt“, das darauf abzielt, sämtliche wichtigen städtischen Funktionen so miteinander zu verknüpfen, dass sie innerhalb von 15 Minuten fußläufig oder per Rad erreichbar sind, wird Schritt für Schritt zur praktischen Realität.
Doch Hidalgos Wirken reicht weit über die Mobilitätspolitik hinaus: soziale Wohnungsbauoffensiven, ein deutlicher Ausbau der kommunalen Kitainfrastruktur, neue Räume für Teilhabe und Kultur, ein ambitionierter Klimaplan, umfassende Begrünungsinitiativen – und zuletzt die erfolgreiche Ausrichtung der Olympischen Spiele 2024. All das geht nicht allein auf Anne Hidalgo zurück, aber dass sich Paris in den vergangenen Jahren von einer etwas angestaubten Kulturmetropole in eine quicklebendige Zukunftswerkstatt verwandelt hat, ein Modell urbaner Transformation, das weltweit Aufmerksamkeit findet, ist in der Einschätzung vieler nicht unwesentlich auf ihre politische Führungskraft zurückzuführen.
Exemplarisch für den ökologischen Umbau von Paris: der Vorplatz des Hôtel de Ville, nach nur achtmonatiger Bauzeit in einen „städtischen Wald” umgestaltet (© Guillaume Bontemps / Ville de Paris)
Everybody’s Darling ist Hidalgo keineswegs – ihre Politik stößt auch auf deutlichen Widerstand. Die Tochter spanischer Einwanderer zählt zu den umstrittensten Persönlichkeiten des französischen Politikbetriebs, polarisiert stark in Paris und im ganzen Land, und hat bereits angekündigt, bei den Kommunalwahlen im März 2026 nicht erneut zu kandidieren. Doch gerade international erfährt ihr Wirken viel Anerkennung: Die Aufnahme in die „100 Most Influential People“ des Time Magazine(2020), der Urban Land Institute „Preis für Visionäre“ (2023) – eine der höchsten internationalen Ehrungen im Stadtentwicklungsbereich – sowie die Auszeichnung durch die Financial Times als eine der 25 einflussreichsten Frauen des Jahres 2024 sprechen für sich.
Natürlich wäre es zu kurz gegriffen, die Frage, wie Städte sich entwickeln – oder stagnieren –, allein an ihrem politischen Personal festzumachen. Aber dennoch sind viele der eindrucksvollsten urbanen Erfolgsgeschichten der letzten Jahre und Jahrzehnte untrennbar mit politischen Führungspersönlichkeiten verbunden – mit Bürgermeister:innen, die gestalten, ermöglichen und durchsetzen. Ken Livingstone in London, Michael Bloomberg in New York und Ada Colau in Barcelona sind prominente internationale Beispiele. Doch man muss nicht in die Ferne schweifen, um zu sehen, was engagierte und kluge kommunale Führung bewirken kann. Auch hierzulande gibt es Beispiele: Wuppertal etwa, keine Glamour-Metropole, aber eine Stadt, die sich in den vergangenen Jahren bundesweit und darüber hinaus als Vorreiterin innovativer, kooperativer und nachhaltiger Stadterneuerung profiliert hat.
Kommunalpolitik ist, wie in Paris, auch in Wuppertal kein „Lovefest“. Wie Anne Hidalgo hat auch Uwe Schneidewind, der ehemalige Präsident des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt, Energie und derzeitige Oberbürgermeister, angekündigt, nicht für eine weitere Amtszeit zu kandidieren. Und doch wird Stadt hier Schritt für Schritt neu gedacht, gestaltet und erfahrbar. Das zeigt sich etwa in der Utopiastadt am Mirker Bahnhof – einem bundesweit beachteten Reallabor kooperativer Stadtentwicklung, das die von Schneidewind mitgeprägte Idee der „Selbstmachstadt“ greifbar werden lässt –, in den Planungen zur mit Spannung erwarteten Bundesgartenschau 2031 oder auch auf dem BOB Campus: einem gemeinsamen Projekt von Stadt und Montag Stiftung, das aus einer Industriebrache einen vielfältigen Ort für Lernen, Wohnen und Arbeiten geschaffen hat und vor wenigen Wochen mit dem Deutschen Städtebaupreis ausgezeichnet wurde. „Partizipativ geplant, gemeinwohlorientiert gedacht und architektonisch sensibel umgesetzt“ – so lobte die Jury den BOB Campus. Eine Kombination, von der man sich auch in Köln durchaus mehr wünschen würde.
Wider die Mär von der Unveränderbarkeit
Manche unken, Köln sei angesichts der Dauerkrise, die die Stadt seit Jahren fest im Griff zu haben scheint, längst nicht mehr zu retten – der Zug sei abgefahren, Hopfen und Malz verloren. Doch dieses Narrativ der Unveränderbarkeit ist bequem – und falsch. Das beweisen nicht nur Wuppertal mit seinen Herausforderungen als Stadt im postindustriellen Wandel, sondern auch internationale Beispiele: Medellín etwa, einst Synonym für Gewalt und institutionellen Zerfall, hat sich binnen zwei Jahrzehnten zum Vorbild integrativer und innovativer Stadtentwicklung gewandelt. Curitiba in Brasilien entwickelte unter dem visionären Architekten-Bürgermeister Jaime Lerner revolutionäre Verkehrs- und Umweltkonzepte, die weltweit Nachahmer fanden. Und in Portugal gelang es Ricardo Rio, die vormals eher verschlafen daherkommende Erzbischofsstadt Braga innerhalb eines Jahrzehnts durch eine Vielzahl von Maßnahmen in den Bereichen Mobilität, Digitalisierung und Kultur zu einem international anerkannten Modell nachhaltiger Stadtentwicklung zu machen – eine Leistung, die ihm unter anderem den Titel „World Mayor for Sustainability“ 2022 einbrachte.
Freilich sind auch diese Beispiele nicht frei von Schattenseiten und Widersprüchen. Dennoch zeigen sie – gemeinsam mit vielen anderen –: Kluge, zukunftsgewandte Politik, die tatsächlich etwas bewegt, ist möglich. Sie ist nicht unbedingt an bestimmte politische Richtungen, geschweige denn an parteipolitische Zugehörigkeiten gebunden, sondern entsteht vor allem dort, wo Menschen durch entschlossenes – und mitunter auch unpopuläres – Handeln Verantwortung übernehmen und Mut zu Visionen mit Management- und Umsetzungskompetenz verbinden.
Was Kölns Fall so besonders frustrierend macht: Die Stadt verfügt über außergewöhnliches Potenzial. Als wirtschaftliches Schwergewicht im Herzen Europas, als Medienzentrum mit pulsierender Kulturszene, als Universitätsstandort mit engagierter Bürgerschaft – Köln hat das Zeug zur europäischen Metropole, die Standards setzt. Doch stattdessen gelingt es ihr mit bemerkenswerter Zuverlässigkeit, unter ihren Möglichkeiten zu bleiben und vor allem mit Pleiten, Pech und Pannen von sich reden zu machen (zu ihnen habe ich mich bereits an anderer Stelle geäußert, etwa hier, und seither sind viele weitere hinzugekommen).
Köln im „Miniaturformat“ auf der Domplatte: Der Platz ist derzeit wegen eines maroden Stützpfeilers der darunter liegenden Tiefgarage von Absperrungen durchzogen.
© Johannes Novy
Sicher: An all dem sind weder Politik noch Verwaltung allein Schuld. Und doch tragen Politik und Verwaltung eine besondere Verantwortung. Wer sich in diesen Bereichen in herausgehobener Position engagiert, muss sich auch an dem messen lassen, was in seiner Amtszeit gelingt – oder eben nicht. Verantwortung zu übernehmen, heißt auch, Verantwortung zu tragen. Das gilt umso mehr für die Person an der Spitze der Stadt und was Henriette Reker betrifft – die bald scheidende Oberbürgermeisterin –, so fällt die Bilanz ernüchternd aus.
„Stets bemüht“ ist nicht genug
An guten Absichten hat es sicher nicht gemangelt und wohlwollend könnte man in der Tonlage deutscher Arbeitszeugnisse zu sagen: Sie war stets bemüht. Nur: das genügt nicht, schon gar nicht angesichts der Erwartungen, die sie vor ihrem Amtsantritt selbst geschürt hat. Laut einer aktuellen Forsa-Umfrage im Auftrag des Kölner Stadt-Anzeigers sind mehr als zwei Drittel der Kölner:innen mit Rekers Arbeit unzufrieden. 64 Prozent sagen, Köln habe sich in den letzten Jahren zu seinem Nachteil verändert, und jeder Siebte gibt an, an Köln „leider nicht mehr viel“ oder „nichts“ zu schätzen. Fairerweise muss man sagen: auch Rekers Vorgänger sind nicht gerade als Lichtgestalten in die Annalen der Stadtgeschichte eingegangen – die Serie der Enttäuschungen ist länger als ihre zehnjährige Amtszeit. Aber interessanter als der Blick zurück ist der Blick nach vorn – konkret auf die Oberbürgermeister-Wahl im September.
Hat jemand im Kreis der Kandidat:innen das Zeug, die politische Misere zu beenden, die in Köln mit immer neuen Zumutungen Alltag geworden ist? Bringt jemand den Willen, die Ideen und die Führungsstärke mit, die Köln so dringend braucht? Was der bisherige Wahlkampf erkennen lässt, macht leider eher skeptisch als zuversichtlich. Die üblichen Floskeln, die gewohnten folkloristischen Plattitüden („…für die Stadt mit Herz“, „Machen mit Herz“, you name it) – zumindest bei den aussichtsreicheren (!) Kandidat:innen erscheinen sowohl Inhalt als auch Form ihrer Kampagnen überwiegend bieder und behäbig, sodass man sich des Eindrucks nicht erwehren kann: sollte sich unter ihnen jemand verbergen, der das Zeug zum Game Changer hat, hat er oder sie sich bislang nicht zu erkennen gegeben.1
Natürlich darf man die Rolle einzelner Personen in der Politik nicht überschätzen: Städte sind komplexe Gefüge, zusammengesetzt aus vielfältigen Akteuren und geprägt von einem Geflecht unterschiedlicher Interessen, institutionellen Routinen sowie mal mehr, mal weniger ausgeprägten Trägheiten und Widerständen. Doch gerade dort, wo vieles festgefahren scheint, können persönliche Führungsqualitäten den entscheidenden Unterschied machen. Anders ausgedrückt: Wer auf einen Messias hofft, der Köln im Alleingang in eine neue Ära der Glückseligkeit führt, verkennt, dass Stadtentwicklung und -politik Teamarbeit sind. Aber es hilft ungemein, wenn jemand an der Spitze steht, der Blockaden auflöst, neue Perspektiven eröffnet, Visionen entwickelt, und Prioritäten setzt – und diese auch gegen Widerstände durchzusetzen vermag.
Was mich zurück zum Ausgangspunkt bringt: Eine Persönlichkeit vom Kaliber Hidalgos – oder auch Zohran Mamdanis, der im Juni mit einem mutigen, inspirierenden Wahlkampf die Spitzenkandidatur der Demokraten für die im November stattfindenden Oberbürgermeisterwahlen in New York errang und Zehntausende Menschen neu für Politik begeisterte – würde auch Köln guttun! Um den Teufelskreis aus Stillstand, wiederkehrendem Scheitern und lähmender Resignation zu durchbrechen, in dem sich Köln in den vergangenen Jahren verfangen hat; um eine neue Kultur des Möglichmachens zu etablieren – und, ja: um, wenn dringendere Baustellen, im wörtlichen wie im übertragenen Sinne, abgeräumt sind, vielleicht irgendwann auch Andreas Blühms Vision eines „Louvre am Rhein“ Realität werden zu lassen.
Politik als Bring- und Holschuld
Die gute Nachricht: Noch ist der Wahlkampf nicht vorbei – mit dem Ende der Sommerferien beginnt nun erst die heiße Phase! Das heißt: Die OB-Kandidat:innen der größeren Parteien haben nach wie vor die Chance, Skeptiker von der Seitenlinie – den Autor dieser Zeilen eingeschlossen – eines Besseren zu belehren und wer weiß, vielleicht mischt auch noch jemand aus dem Feld der „ferner liefen“ das Rennen auf und sorgt für Überraschungen. Zu wünschen wäre es allemal, und auch jeder Kölnerin und jedem Kölner bleibt noch etwas Zeit, dabei mitzuhelfen, das es so kommt. Politik lebt, wie der Allgemeinplatz sagt, vom Mitmachen – Bring- und Holschuld gehen hier also Hand in Hand – und wer Wandel will, muss ihn einfordern und, wo möglich, selbst mit anpacken.
1 Dieser Eindruck bezieht sich ausdrücklich nicht auf unabhängige Kandidat:innen und die kleinerer Parteien, doch ihnen fehlt, so mein Eindruck, bislang am nötigen Momentum, um wirklich durchzudringen. Was gewesen wäre, wenn zumindest einige von ihnen ihre Kräfte gebündelt hätten? Who knows – heute ist das nichts weiter als politisch vergossene Milch.
Wenn Ihnen dieser Beitrag gefallen hat, dann teilen Sie ihn bitte in bzw. mit Ihren Netzwerken!
Nachtleben vs. Nachtruhe: Zum “Verweilverbot” am Brüsseler Platz in Köln
Weil man sich angesichts der jahrelangen Querelen um Lärmbeschwerden und dergleichen nicht anders zu helfen weiß, soll ab Februar ab 22 Uhr auf dem Brüsseler Platz im Herzen Kölns ein ”Verweilverbot” gelten. Warum ich das für keine gute Idee halte, erkläre ich hier.
Leider kein Einzelfall, allerdings einer, der mir nahegeht, weil ich selbst viel Zeit am Brüsseler Platz in Köln verbracht habe: weil man sich angesichts der jahrelangen Querelen um Lärmbeschwerden und dergleichen nicht anders zu helfen weiß, soll ab Februar ab 22 Uhr auf dem Platz im Zentrum des Belgischen Viertels, einem der Ausgehviertel der Stadt, ein “Verweilverbot” gelten. Zusätzlich wird die Errichtung eines Zauns erwogen, und Gastronomen sollen künftig auch an Wochenenden um 22.00 Uhr ihre Außengastronomie schließen. Dazu passt, dass erst vor wenigen Tagen zudem bekannt wurde, dass auch das seit vielen Jahren rund um den Platz stattfindende Festival Tour Belgique 2025 aufgrund von Anwohnerbeschwerden und Konflikten mit dem Ordnungsamt wohl abgesagt wird.
Sicher, die Situation ist kompliziert: In den 1990er und frühen 2000er Jahren, "meiner" Zeit am Brüsseler Platz, ging es dort vergleichsweise überschaubar zu, ein paar Jahre später waren es oft Hunderte von Menschen, die sich dort versammelten, was ohne Frage Belastungen für Anwohner – Lärm, Müll, you name it – nach sich zog. Zudem gehört zur Geschichte auch, dass den nun angekündigten Maßnahmen eine Reihe von Bemühungen vorausging, die Situation mit weniger brachialen Mitteln zu entschärfen und die Stadt unter dem Druck eines Gerichtsurteils steht, das sie zur Gewährleistung der Nachruhe verpflichtet.
Mir fehlt der Einblick in die Details, um die Situation abschliessend beurteilen zu können, geschweige denn mit einer Lösung um die Ecke kommen. Sind es, wie manchmal behauptet, nur einige wenige, die die Stadt mit Beschwerden überziehen, oder doch eine größere Zahl von Anwohnern? Ich weiß es schlicht nicht. Was ich jedoch weiß, ist, dass Städte – nicht nur für Deutschland übrigens – vor der schwierigen Aufgabe stehen, das Spannungsfeld zwischen urbanem Leben und einem sich verändernden Freizeitverhalten einerseits und den Bedürfnissen von Anwohnern andererseits zu lösen und auch der Stadtplanung hierbei eine wichtige Rolle zufällt.
Man kann vom Trend zum Feiern im Freien halten, was man will: Dass es ihn gibt, hat nicht nur mit neuen Vorlieben zu tun, sondern auch mit finanziellen Zwängen. Heutzutage einen ganzen Abend in Kneipen und Clubs zu verbringen, muss man sich erst einmal leisten können, und viele junge Menschen wohnen heute in Verhältnissen, in denen sich das Zusammensein mit Freunden nicht einfach in die Küche oder das Wohnzimmer verlagern lässt. Das bedeutet nicht, dass es ein Recht auf Feiern im Freien gäbe, durch das Menschen um ihren Schlaf gebracht werden, aber zentrale innerstädtische Plätze effektiv totzuberuhigen, um sich Beschwerden vom Hals zu schaffen, löst das Problem nicht – es besteht die Gefahr, dass Probleme sich lediglich verlagern. Und wenn solche Maßnahmen zur Regel werden, sägt man als Stadt am Ast, auf dem man sitzt. Man ruiniert – wie es die IG Kölner Gastro in einer Stellungnahme formuliert hat – langfristig genau das, was Städte attraktiv macht.
Stadtplanung unter Beschuss: Studierende müssen auf Verschwörungspopulismus vorbereitet werden – aber wie?
StadtplanerInnen sehen sich immer mehr mit Angriffen aus (rechts-)populistischen Kreisen und verschwörungstheoretischen Attacken konfrontiert. Darauf wollen auch Studierende vorbereitet werden – aber wie?
Wieder so ein Facebook-Kommentar, der mich fassungslos macht. Post-Truth at its finest: Da werden Planer zu Marionetten einer globalen Elite erklärt, die Menschen in städtischen Käfigen einsperren und einen "Great Reset" herbeiführen will – je nach Lesart, um den Kommunismus einzuführen, Milliardäre noch reicher zu machen, oder beides. Solche Verschwörungstheorien sind mir nicht neu, aber ihre Allgegenwärtigkeit zieht mir regelmäßig die Schuhe aus. Noch vor ein paar Jahren habe ich derartige Kommentare kaum wahrgenommen; heute begegnen sie mir ständig..."
Der Anlass des Beitrags: ein Kommentar auf eine Werbeanzeige für den Masterstudiengang "Nachhaltige Stadtentwicklung" an der Hochschule Anhalt.
Sicher, diejenigen, die der bizarren Erzählung von "Freiluftgefängnissen" und Ähnlichem in toto anheimfallen, mögen eine kleine Minderheit sein, aber, wie auch bei anderen gesellschaftspolitischen Fragen, gilt: "irgendetwas bleibt immer hängen". Absurde Ideen finden in abgeschwächter Form Eingang in den Mainstream, der Diskurs verschiebt sich und macht so den ohnehin schwierigen Job, mit dem sich die Stadtplanung konfrontiert sieht, noch schwerer.
Was die Sache noch vertrackter macht: die Planung mag Zielscheibe sein, ist aber weder Ursprung des Problems, noch in der Lage, effektiv dagegen vorzugehen.
Mehr Zuhören und Beteiligung? I am in principle all for it und sicher wird nicht überall immer so gut "kommuniziert" oder "mitgenommen", wie man es sich wünschen würde. Doch die Erfahrung zeigt auch, dass selbst die besten Planungsprozesse nicht vor Angriffen schützen. Allein werden sie das Problem nicht lösen, zumal Verschwörungstheoretiker und Populisten Partizipation und Beteiligung zu nutzen wissen, um ihre Agenden zu pushen und Diskussionen zu torpedieren.
Mehr Zugeständnisse beim überfälligen Umbau unserer Städte eingehen? Mal ganz abgesehen von der Tatsache, dass das, was heute umgesetzt wird, ohnehin häufig schwer erkämpfte und (vor dem Hintergrund der Klimakrise) schmerzhafte Kompromisse sind: Für manche Gegner erscheinen bereits Fahrradwege bereits als Instrumente totalitärer Kontrolle – da ist wenig Spielraum für Kompromisse. Darüber hinaus handelt es sich bei Planungskonflikten nicht nur häufig um (Neben-)Schauplätze grundlegenderer Auseinandersetzungen. Sie werden vielmehr häufig auch – das ist keine Verschwörungstheorie – gezielt von politischen Akteuren und Lobbygruppen geschürt, wie zuletzt u.a. die zumindest in Teilen orchestrierten Proteste gegen low traffic neighbourhoods in England gezeigt habe; Akteuren und Lobbygruppen, mit denen man aus Prinzip und der politischen Hygiene wegen keine Kompromisse eingehen sollte (und die ihrerseits häufig kein Interesse an ihnen haben).
Zu guter Letzt: Klar, es gibt misslungene Projekte (Friedrichstraße, hallo?), die der Sache nicht geholfen haben. Aber Proteste suchen sich nicht nur handwerklich schlechte Projekte aus und als Erklärung reicht das nicht aus.
Also was tun? Die gute Nachricht ist, dass die Planungsliteratur der Frage vermehrt nachgeht, Decoding the 15-Minute City Debate: Conspiracies, Backlash, and Dissent in Planning for Proximity ist zum Beispiel durchaus lesenswert. Dennoch bleiben viele Fragen offen; Fragen, die mich auch deshalb umtreiben, weil ich junge Planer und Planerinnen unterrichte, die in ihrem beruflichem Alltag von Anfeindungen betroffen sind. Was ich weiß, ist, dass die Planungsausbildung (noch) mehr tun muss, um sie darauf vorzubereiten, sich in einem zunehmend schwierigeren Umfeld zu behaupten.
Nächste Woche beginnt das neue Semester – wish me luck!
Höhenflug statt Krisenblues. Wie Londons “Square Mile” für die Zukunft plant
Krise! Welche Krise? Während wirtschaftliche und politische Turbulenzen die Schlagzeilen bestimmen und sich Großbritannien mit einem veritablen Clusterfuck nicht zuletzt hausgemachter Probleme konfrontiert sieht, könnte man beim Blick auf die Skyline der Londoner City meinen, man befände sich in einer völlig anderen Realität.
Krise! Welche Krise? Während wirtschaftliche und politische Turbulenzen die Schlagzeilen bestimmen und sich Großbritannien mit einem veritablen Clusterfuck nicht zuletzt hausgemachter Probleme konfrontiert sieht, könnte man beim Blick auf die Skyline der Londoner City meinen, man befände sich in einer völlig anderen Realität. In Londons traditionellem Finanzzentrum, der "Square Mile", wird gebaut, was das Zeug hält. Natürlich entwickeln sich Bautätigkeit und Wirtschaftsdynamik nicht immer synchron, vor allem nicht in einer Zeit wie der unseren, in der Immobilien- und Finanzkapitalismus mehr und mehr ihren eigenen Gesetzen zu folgen scheinen. Und doch ist das Bauvolumen erstaunlich und nicht minder erstaunlich ist die beträchtliche Zahl bereits genehmigter oder in Planung befindlicher Projekte.
Londons wohl berühmtester Wolkenkratzer, Norman Fosters 180 Meter hoher Büroturm The Gherkin (zu deutsch: die Gurke), der nach seiner Fertigstellung im Jahr 2003 lange Zeit die Silhouette der City dominierte, ist heute kaum noch auszumachen. Er ist von einer Reihe oft deutlich höherer Wolkenkratzer umzingelt und wird von ihnen in den Schatten gestellt. Eines davon ist das kürzlich fertiggestellte 22 Bishopsgate. Mit 278 Metern ist der von PLP Architecture entworfene Koloss aus Beton, Stahl und Glas derzeit der höchste Büroturm in der Square Mile, wird diesen Titel aber bald an das um die Ecke geplante 1 Undershaft verlieren, das mit 310 Metern auch das bisher höchste Gebäude Londons, The Shard, überragen wird, das sich außerhalb der City befindet. Aktuellen Zahlen zufolge werden derzeit so viele neue Büroflächen gebaut wie lange nicht. Bis Ende 2024 sollen 500.000 Quadratmeter hinzukommen - das entspricht rund 70 Fußballfeldern - und besonders in der Square Mile ist die Nachfrage enorm. Die City of London Corporation, die seit dem Mittelalter als Kommunalbehörde für Londons flächen- und bevölkerungsmäßig kleinsten Stadtbezirk fungiert, ließ kürzlich verlauten, dass sich die Zahl der Bauanträge auf einem Rekordniveau befände. Mehr als 500.000 Quadratmeter zusätzliche Bürofläche seien genehmigt oder kurz vor der Genehmigung und ebenso viel bereits im Bau.
Zurückzuführen ist diese Nachfrage zumindest zum Teil auf die wachsenden Beschäftigungszahlen in der City. Seit 2021 ist diese um 29.000 auf insgesamt 617.000 gestiegen und Schätzungen gehen von einem weiteren Anstieg um 85.000 bis 2040 aus. Standortentscheidungen und Immobilientransaktionen sind mehr als bloße Zahlenjonglage. Neben wirtschaftlichen Berechnungen spielen auch Emotionen und somit Psychologie eine große Rolle. In anderen globalen Finanz- und Dienstleistungszentren herrscht große Verunsicherung angesichts der aktuellen Wirtschaftslage wie auch der Frage, welche langfristigen Folgen der Trend zum Homeoffice und zum mobilen Arbeiten haben wird. Pessimistische Schlagzeilen überschlagen sich - die Financial Times sprach kürzlich zum Beispiel gar von einem "Blutbad" für den gewerblichen Immobilienmarkt in New York angesichts wachsender Leerstände, fallender Immobilienpreise und steigender Bau- und Zinskosten.
In der Londoner City bemüht man sich, eine solche Atmosphäre erst gar nicht entstehen zu lassen. Erst im November veröffentlichte die Kommunalbehörde eine Reihe neuer Hochglanz-Renderings, die eine um elf zusätzliche Hochhäuser ergänzte Skyline im Jahr 2030 zeigen. Die Botschaft: in London herrscht Aufbruchs-, nicht Untergangsstimmung. Die tatsächliche Situation ist freilich komplizierter, als dass sowohl die multiplen Krisen der Gegenwart als auch die Umbrüche in der Arbeitswelt keinesfalls spurlos an der City vorbeigehen. Auch in London stehen viele Büros an vielen Tagen leer oder sind nicht ausgelastet, weil Remote- und Hybrid-Arbeitsmodelle sich etabliert haben. Der Anteil unvermieteter Büroflächen im Innenstadtbereich kratzt an der Zehn-Prozent-Marke, was zwar weniger ist als in New York, aber immer noch besorgniserregend, und der aktuelle Bauboom ist auch darauf zurückzuführen, dass viele bestehende Büros heutigen Ansprüchen und Anforderungen nicht mehr genügen.
Wie die Skyline der Square Mile im Jahr 2030 aussehen soll (© City of London Corporation)
Tatsächlich wecken die Bauaktivitäten der letzten Zeit und die mit ihnen einhergehenden städtebaulichen Veränderungen Assoziationen zu Joseph Schumpeters These der "schöpferischen" oder "kreativen Zerstörung" als wesentlichem Merkmal kapitalistischer Ökonomien. Altes wird beiseite geräumt, nicht nur um in die Höhe zu wachsen, sondern um andere, neuartige Büro- und Arbeitsumgebungen zu schaffen. Immobilienentwickler werben mit flexiblen Grundrissen, Hightech, nachhaltigem Design und einer Atmosphäre, die Mitarbeiter/innen wieder in ihre Büros lockt, um ihre Projekte gewinnbringend auf dem Markt zu platzieren. Und die City of London setzt auf eben diese neuen Büro- und Arbeitswelten, um sich als zentrales Geschäftsviertel zu behaupten. Gleichzeitig hat sich aber auch die Erkenntnis durchgesetzt, dass es mit neuen "Premium-Büroflächen" - wie es im Immobilien-Sprech heißt – allein nicht getan ist. Wohnungsbau, wie er im Finanzdistrikt von Lower Manhattan oder in La Defense in Paris betrieben wird, um ausgediente Büroflächen einer neuen Nutzung zuzuführen und Büromeilen neues Leben einzuhauchen, ist für die City of London Corporation nach wie vor allenfalls in Ausnahmefällen denkbar. Stattdessen setzt man auf Einzelhandel, Gastronomie, Hotels und Kultur und will die Stadt durch eine umfassende Neugestaltung des Stadtraums attraktiver machen und ihr Profil als "Destination" schärfen. "Placemaking" soll es also richten und die City in einen Ort verwandeln, der nicht mehr nur fast ausschließlich für (Big) Business steht.
Da die City of London Corporation nicht nur als älteste noch bestehende Kommunalverwaltung weltweit gilt, sondern auch eine der wohlhabendsten im Vereinigten Königreich ist, verfügt sie über die nötigen Mittel, um entsprechend zu investieren. Straßen werden zurückgebaut, neue Grün- und Aufenthaltsflächen geschaffen und auch Immobilienentwickler und Unternehmen werden in die Pflicht genommen. Bauen? Ja gerne, aber nur gegen Gegenleistung. Die City gilt gemeinhin als ausgesprochen "investorenfreundlich" – und trägt dieses Etikett mit Stolz. Gleichzeitig scheut sie aber auch nicht davor zurück, Großprojekte an Bedingungen zu knüpfen, also zum Beispiel Hochhausentwickler zu verpflichten, öffentlich zugängliche und in der Regel kostenlose Aussichtsplattformen vorzusehen, Erdgeschossflächen für gemeinnützige oder kulturelle Zwecke zur Verfügung zu stellen oder sich finanziell an der Umgestaltung öffentlicher Räume oder der Renovierung von Baudenkmälern zu beteiligen.
Diese Bemühungen werden wahrgenommen: Das Royal Town Planning Institute, der Berufsverband der britischen Stadtplaner/innen, kürte die City Corporation beispielsweise im November zur Planungsbehörde des Jahres 2023 und erklärte sie zum Vorbild für Städte weltweit. Doch es gibt auch kritische Stimmen. Der Versuch, der sterilen City, einer der Drehscheiben des globalen Turbokapitalismus, ein menschlicheres Gesicht zu geben, sei, um es mit einer in Großbritannien gängigen Redewendung auszudrücken, wie Lippenstift auf ein Schwein zu pinseln, meinen die einen: Schönfärberei. Andere, darunter die Denkmalschutzorganisation Heritage England, nehmen Anstoß am Bau neuer Wolkenkratzer, mit dem Argument, dass sie die historische Kulisse der St. Paul's Cathedral und anderer Wahrzeichen beeinträchtigen. Wiederum andere, die Hochhäuser nicht per se ablehnen, stören sich an deren architektonischer Qualität, oder besser gesagt am vermeintlichen Mangel derselben. Das Etikett "wonky would-be icons" (The Guardian) fasst die Skepsis dieser Kritiker treffend zusammen, obwohl es noch zu den harmloseren Umschreibungen zählt, und immer wieder wird beklagt, London sei im Begriff, zu "Dubai-on-Thames" zu mutieren und sein historisch gewachsenes Erscheinungsbild zu verlieren.
Und es gibt viele, die die Bauwut und den Höhenrausch der City mit Blick auf die Klimakrise kritisieren. Um bis 2040 klimaneutral zu werden, hat die City als erste Planungsbehörde Englands Anfang 2023 damit begonnen, Bauherren dazu anzuhalten, Klimaauswirkungen bereits in einem frühen Stadium ihrer Planung genau zu prüfen und den Abriss existierender Gebäude möglichst zu vermeiden. Eine im Dezember vorgestellte Nachhaltigkeitsrichtlinie geht noch einen Schritt weiter und enthält eine Vielzahl von Bestimmungen mit dem Ziel, einen Paradigmenwechsel bei der Nutzung der Ressource "Bestand" einzuleiten, das zirkuläre Bauen zur Norm zu machen und Bauherren zu bewegen, Klima- und Umweltauswirkungen über den gesamten Lebenszyklus ihrer Gebäude zu reduzieren. So weit, so gut. Allerdings ist der Punkt, an dem ehrgeizige Vorhaben typischerweise scheitern, bekanntlich die Umsetzungsphase, und ob Hochhäuser in der Höhe, die der City für ihre zukünftige Entwicklung vorschwebt, jemals wirklich "nachhaltig" sein können, ist bekanntlich gelinde gesagt umstritten. Hinzu kommt, dass die Richtlinie noch nicht in Kraft ist. Bis es so weit ist, wird noch viel Wasser die Themse hinunterfließen und voraussichtlich werden noch viele Grundsteinlegungen für mal mehr und mal weniger klimafitte Projekte stattfinden, bis sie zur Anwendung kommt. Es sei denn, ja, es sei denn, der Dauer-Krisen-Zustand, in dem sich das Vereinigte Königreich zu befinden scheint, holt die City doch noch ein, der Immobiliensektor stürzt ab und die besagten Grundsteinlegungen fallen ins Wasser.
Wenn Ihnen dieser Beitrag gefallen hat, dann teilen Sie ihn bitte in bzw. mit Ihren Netzwerken.
Stadtentwicklung in Köln. Scheitern als Kunstform
Stadtentwicklung in Köln bedeutet, ein ums andere Mal nicht fassen zu können, wie Politik und Verwaltung die Stadt gegen die Wand fahren und gleichzeitig nicht mehr im Geringsten überrascht zu sein. Seit Jahrzehnten gehören Pleiten und Pannen ebenso fest zur Domstadt wie der Dom selbst.
© Raimond Spekking / CC BY-SA 4.0 (via Wikimedia Commons)
Stadtentwicklung in Köln bedeutet, ein ums andere Mal nicht fassen zu können, wie Politik und Verwaltung die Stadt gegen die Wand fahren und gleichzeitig nicht mehr im Geringsten überrascht zu sein. Seit Jahrzehnten gehören Pleiten und Pannen ebenso fest zur Domstadt wie der Dom selbst. Köln wäre nicht Köln ohne die ständige Präsenz politischen Versagens beziehungsweise einer Politik, die – unabhängig davon, wer gerade regiert – Scheitern zur Kunstform erkoren zu haben scheint. Wie sich dieses Scheitern äußert und welche Folgen es nach sich zieht, ist gut dokumentiert. Medial, aber auch im Stadtbild, das man sich auch mit einem Kranz Kölsch nicht wirklich schön trinken kann. Es werde immer schwieriger, BesucherInnen einen angenehmen Aufenthalt zu bereiten, erklärten StadtführerInnen erst kürzlich in einem Brandbrief an die Stadt. Manche von ihnen fürchten gar, dass Reiseunternehmen die Stadt aus ihren Programmen streichen könnten.
Besonders schwer hat es die Kulturlandschaft erwischt, denn bei praktisch jedem großen Projekt gibt es massive Probleme. Das renommierte Wallraff-Richartz-Museum wartet seit inzwischen mehr als zwanzig Jahren auf einen versprochenen Erweiterungsbau auf einem benachbarten Baugrundstück, das vor fast ebenso vielen Jahren für das Projekt geräumt wurde und nun brach liegt. Das seit 2017 im Bau befindliche Jüdische Museum, das auf die – wie könnte es anders sein – gescheiterte Bewerbung Kölns für die Kulturhauptstadt Europas 2010 zurückgeht und auf einem unterirdischen Parcours über 2000 Jahren Stadtgeschichte erlebbar machen soll, wird und wird nicht fertig. Andere Kultureinrichtungen laufen seit langem auf provisorischer Basis oder sind ganz geschlossen. Die Umsetzung des Großprojekts “Historische Mitte” in Nachbarschaft des Doms, das unter anderem als neuer Standort des Stadtmuseums dienen soll, ist nach wie vor ungewiss. Und als ob die Kulturszene nicht schon genug Herausforderungen hätte, ereignete sich im September ein Einbruch im Museum für Ostasiatische Kunst, der durch seit Jahrzehnten bekannte Probleme mit der Bausubstanz und Technik des Hauses begünstigt worden zu sein scheint.
Doch auch in vielen anderen Bereichen ist die Bilanz dunkelgrau: Viel Schatten und wenig Licht. Das Erscheinungsbild vieler Straßen und Plätze etwa bleibt trotz jahrzehntelanger Diskussionen ein Ärgernis und viele der bisherigen Versuche, daran etwas zu ändern, sind es auch. Gut gemeint und gut gemacht sind bekanntlich zweierlei. Wenn man das nicht ohnehin schon wusste, dann spätestens beim trostlosen Anblick des französischen Schriftstellers Honoré de Balzac, der seit letztem Jahr in Form einer vier Meter hohen Statue des Künstlers Auguste Rodin den verkehrsumtosten Neumarkt “kulturell aufwerten” soll. Seitdem steht die Bronzeskulptur wie bestellt und nicht abgeholt am Rande des Platzes, eingezwängt zwischen Ampeln, Autos und einem U-Bahn-Eingang. Die seit langem ausstehende Generalüberholung des Neumarkts, einst integraler Bestandteil des 2008 von Albert Speer + Partner vorgelegten städtebaulichen Masterplans für die Innenstadt, lässt hingegen weiter auf sich warten.
Auch bei der bei der Bewältigung der großen städtischen Herausforderungen unserer Zeit wie Wohnraummangel, Klimakrise und sozialem Zusammenhalt hinkt Köln eher hinterher als - wie man es von einer Stadt vom Format Kölns eigentlich erwarten könnte - eine Vorreiterrolle einzunehmen. Erstaunlich ist dabei die Fähigkeit Kölns, jedem Schritt nach vorn zwei, drei, vier Schritte zurück folgen zu lassen. So etwa bei der Entwicklung des Kalker Osthofs auf der rechten Rheinseite. Während die Stadt in der Vergangenheit oft nicht gerade zimperlich mit ihrem industriellen Erbe umging und viele Industriedenkmäler Investoreninteressen preisgegeben wurden, wollte man es hier besser machen. Unter Beteiligung lokaler und zivilgesellschaftlicher AkteurInnen, plante man, das alte Industriegelände gemeinwohlorientiert umzugestalten und unter anderem Ateliers, soziale Einrichtungen und Gastronomie zu schaffen. Ob diese Pläne jedoch verwirklicht werden, ist nicht gesagt, denn Mitte August gab die Montag Stiftung Urbane Räume, die eine wichtige Rolle bei dem Vorhaben gespielt hatte, überraschend bekannt, sich zurückzuziehen. Ein Projekt dieser Dimension sei “nur in einer Partnerschaft mit maximaler Verlässlichkeit … und einem strikten Zeitmanagement möglich”, ließ die Stiftung verlauten, und dass man diese Voraussetzungen “auf Seiten der Stadt Köln” als nicht gegeben sähe. Eine Rückkehr in das Projekt schließe man aus.
Noch bemerkenswerter als das durch die unverblümten Aussagen der Stiftung offengelegte Zerwürfnis selbst, ist die Tatsache, dass es sich in eine endlose Reihe ähnlicher Debakel einreiht. Denn wenn Kölns Verantwortliche eines gut können, dann ist es, die ohnehin niedrigen Erwartungen, die man in sie setzt, immer wieder zu unterbieten. Bisweilen ist das unterhaltsam, denn Köln zeichnet nicht nur aus, Fehlschläge in Endlosschleife zu produzieren. Die Stadt neigt auch dazu, sich regelmäßig mit besonders grotesken Einlagen hervorzutun. Dass bei der Neugestaltung des Breslauer Platzes am Hauptbahnhof, an sich schon kein Meisterwerk, vor einigen Jahren erst kurz vor Fertigstellung auffiel, dass ein als zentrales Element des Platzes geplanter - und gleichfalls alles andere als beeindruckender - Fontänen-Brunnen beim Bau “vergessen” worden war, ist hierfür nur ein Beispiel von vielen.
In der Gesamtschau ist das, was sich in Köln abspielt, aber schon lange nicht mehr komisch. Betrachtet man, wie zuverlässig Probleme ignoriert und Chancen ungenutzt gelassen werden, wie regelmäßig angestoßene Projekte scheitern und engagierte AkteurInnen wie die Montag Stiftung verprellt werden; und wie in dieser eigentlich wirtschaftlich so gut aufgestellten Stadt selbst ehemals selbstverständliche Bestandteile kommunaler Infrastruktur inzwischen längst keine Selbstverständlichkeit mehr sind, man kommt nicht umhin, ihr ein verheerendes Zeugnis auszustellen. Wem das überzogen erscheint, dem sei empfohlen, sich auf das Abenteuer ÖPNV einzulassen. Die Pünktlichkeit der krisengebeutelten Kölner Verkehrsbetriebe sank 2022 auf ein Rekordtief und dass trotz eines vorsorglich ausgedünnten Fahrplans.
Als Kölns parteilose Oberbürgermeisterin Henriette Reker sich 2015 zum ersten Mal zur Wahl stellte, gewann sie mit dem Versprechen, kräftig aufzuräumen und die Verwaltung der viertgrößten Stadt Deutschlands auf Vordermann zu bringen. Gemessen an den Erwartungen, die sie geweckt hat, ist ihr das nicht gelungen. Reker selbst hat eingeräumt, dass sie ihr Ziel, zum Jahr 2022 die “modernste Verwaltung der Bundesrepublik Deutschland” zu schaffen, nicht erreicht hat. Und dass durch das seit 2020 regierende Bündnis aus Grünen, CDU und der Kleinstpartei VOLT tatsächlich die in Aussicht gestellte “nachhaltige, zukunftsorientierte und verlässliche Stadtpolitik” im Stadtrat Einzug gehalten hat, glauben allenfalls Abgeordnete dieser Parteien selbst.
Stattdessen sind es noch immer vor allem Negativschlagzeilen mit denen die Stadt von sich reden macht und was alles noch viel schlimmer macht, ist, dass diese in Köln derart alltäglich sind, dass sie häufig allenfalls ein Schulterzucken provozieren. Hier ein Planungsfehler, einschließlich Kostenexplosion, dort eine weitere Bauverzögerung, eine Personalquerelle oder eine politische Hundertachtzig-Grad-Wende bis zurück auf Los – es ist, als hätten viele KölnerInnen aufgrund der schier endlosen Abfolge von Unzulänglichkeiten und Skandalen die Fähigkeit zur Empörung verloren. Der schmerzhafte Höhepunkt dieser Serie war zweifellos der tragische Einsturz des historischen Stadtarchivs im Februar 2009, der durch den Bau einer neuen U-Bahn-Strecke verursacht wurde und zwei Menschen das Leben kostete. Das ist nun fast fünfzehn Jahre her und noch immer klafft ein gewaltiges Loch an der Unglücksstelle am Kölner Waidmarkt. Von verschiedenen Initiativen entwickelte - und vom Stadtrat 2020 zur Realisierung empfohlene - Pläne, an ihrer Stelle einen unterirdischen Kultur- und Gedenkraum zu schaffen, wurden vor wenigen Monaten auf Betreiben der Stadtverwaltung verworfen.
Natürlich mag es für viele der Missgeschicke, Misserfolge und verpassten Chancen, mit denen Köln zu kämpfen hat, Erklärungen geben. Nicht zuletzt kommt oft, wie jeder weiß, das Pech hinzu, wenn die Dinge erst einmal im Argen liegen. Schwer zu begreifen ist hingegen das Ausmaß der (stadtentwicklungs-)politischen Misere Kölns, zu der nicht nur gehört, dass (viel zu) oft Dinge schief gehen, sondern auch, dass (viel zu) selten etwas rundum zu überzeugen vermag.
Was genau erklärt das regelmäßige Scheitern und Unter-Ihren-Möglichkeiten-Bleiben dieser in vielerlei Hinsicht - zum Beispiel was ihre wirtschaftliche Stärke und engagierte Zivilgesellschaft angeht - doch so privilegierten Stadt? Oder andersherum gefragt: Wie kommt es, dass andere Städte, oft unter viel schwierigeren Umständen, Herausforderungen und Chancen besser meistern und entweder kontinuierlich solidere Politik machen oder sich nach Krisenzeiten wie Phönix aus der Asche aufschwingen und durch ambitioniertes und kluges Handeln auf sich aufmerksam machen? Das ist die Eine-Millionen-Euro-Frage, und um die Dinge wirklich grundlegend zum Besseren zu verändern, bedarf es einer Antwort auf sie.
Wenn Ihnen dieser Beitrag gefallen hat, dann teilen Sie ihn bitte in bzw. mit Ihren Netzwerken.